Muss man den Vizsla kupieren?

von Nov 27, 2020

Noch vor einigen Jahren wurde der Vizsla – wie viele andere Jagdhundrassen – standardmäßig kupiert. Mit der zunehmenden nicht-jagdlichen Führung der Rasse und der Haltung des Vizslas als Freizeit- und Familienhund, ist das Kupieren scheinbar hinfällig geworden. Zu Recht? Leider nein! Denn auch ich musste mich mit diesem Thema sehr intensiv auseinandersetzen, da mein Bayard kurz vor einer Amputation seines Schwanzes stand.

Der kupierte Vizsla – ein Bild aus alten Zeiten?

Kurzhaarige Jagdhundrassen wie Vizsla und Weimaraner traf man vor 1998 zu Hauf an. Kurz danach änderte sich das Bild, da seit diesem Jahr das Kupieren der Rute in Deutschland nach § 6 TierSchG verboten ist. Das Gesetzt sieht jedoch zwei Ausnahmen vor. Nämlich dann, wenn das „vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen

1) nach tierärztlicher Indikation geboten ist

oder

2) bei jagdlich zu führenden Hunden für die vorgesehene Nutzung des Tieres unerlässlich ist und tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen.

Kurz: Noch heute können Hunde legal kupiert werden, wenn es medizinisch notwendig ist oder sie als Jagdhund eingesetzt werden. Die verkürzte Rute ist in den meisten Fällen also ein gutes Indiz für eine jagdliche Führung. Da der Vizsla heutzutage aber immer häufiger als reiner Familien- und Freizeithund gehalten wird, trifft man kupierte Tiere höchst selten an.

Auch ich muss zugeben, dass der verkürzte Schwanz auf mich immer ein wenig befremdlich wirkte und mir die Hunde schon allein wegen der Kupiertechniken leidtaten.

Die Kupiertechniken

Jagdhundrassen, die im Standard eine kupierte Rute tragen, werden für gewöhnlich in den ersten Lebenstagen kupiert. Um das Risiko einer Vollnarkose bei so jungen Hunden zu minimieren, wird die Amputation ohne Betäubung vorgenommen. Zwei Methoden haben sich etabliert:

Bei der gängigsten Variante schneidet der Tierarzt die Haut zirkulär ein, zieht sie leicht zurück und kappt die Rute zwischen zwei Wirbeln mit einem Skalpell. Zwar ist die Struktur der Rute eines neugeborenen Welpen noch nicht knöchern, sondern knorpelig, aber der Prozess ist ohne Frage mit erheblichen Schmerzen verbunden. Die kleine Wunde wird von einigen Tierärzten nicht einmal vernäht, da sie ohnehin nach kurzer Zeit heilt.

Alternativ wird die Rute mit einem engen Gummiring abgebunden, um die Blutzufuhr zu unterbrechen. Dadurch stirbt das Gewebe ab und das „tote“ Endstück fällt nach wenigen Tagen ab. Auch hier ist davon auszugehen, dass der Prozess nicht schmerzfrei für den Welpen verläuft.

Doch wieso nehmen Züchter, Jäger und Tierärzte diesen schmerzhaften Akt des Kupierens überhaupt in Kauf?

Gründe für das Kupieren

Erst als ich mich näher mit der Thematik beschäftigte, lernte ich, dass das Kupieren durchaus einem sehr sinnvollen Zweck dient:

Bei der Jagd stöbern jagdlich geführte Hunde im Dickicht und Unterholz nach Wild. Durch Dornen, Äste und Zweige kommt es gerade bei kurzhaarigen Rassen leicht zu Verletzungen der Rute. Denn langhaarige Rassen, wie Deutsch Langhaar, Großer und Kleiner Münsterländer oder auch der Drahthaar-Vizsla verfügen durch ihre „Fahnen“, also die lange herabhängende Behaarung an der Rute, über einen natürlichen Schutz.

Ist die dünne Haut am Ende der Rute erst einmal aufgerissen oder aufgeschlagen, stehen die Heilungschancen schlecht. Dieser Teil des Körpers ist beim Hund schlecht durchblutet, wodurch er hier auch weniger gefühlsempfindlich ist. Die Gefahr besteht also, dass sich der Hund die Rute immer wieder verletzt, Bakterien in die Wunde gelangen und sich eine Entzündung ausbreitet, die bis in die Wirbelsäule wandern und eine Totalamputation zur Folge haben kann. Genau vor diesem Problem stand mein Vizsla-Rüde auch vor einigen Monaten.

Wieso mein Vizsla kupiert werden sollte

Mein Bayard wird nicht jagdlich geführt und verletzte sich seine Rute daher nicht beim Durchstöbern des Unterholzes, sondern bei einer wieder einmal stürmischen Begrüßung, als ich nach Hause kam. Die Rute schlug bei seinem „Freudentanz“ an der Türkante an und platzte ca. 5 cm auf. Der Hund jaulte auf und der gesamte Flur glich binnen Sekunden einem rot gesprenkelten Gemälde von Jackson Pollock.

Meine Versuche, die blutende Wunde zu verbinden, hielten immer nur kurz, so dass ich mich hilfesuchend an unsere Tierärztin wandte. Die reinigte die Wunde, verband den Schwanz fachmännisch, polsterte die Spitze gut aus und verschrieb Bayard Schmerzmittel und Antibiotika, um die Gefahr einer Entzündung zu reduzieren. Zudem bekam er einen Trichter verpasst, damit er sich den Wundverband nicht aufbeißt.

Vizsla mit Trichter nach Verletzung
Mein Vizsla war nie begeistert, wenn er den Trichter tragen musste.

Die folgenden Tage kosteten mich viele Nerven: Nicht nur, dass der Vischel mit dem Trichter überall anstieß, auch mein Auftrag, die Rute spätestens alle 2 Tage neu zu verbinden, erforderte den Einsatz mindestens eines weiteren Helfers, zahlreicher Käsewürfel zur Bestechung sowie einer Menge Paketband. Ja, richtig gelesen. Paketband. Denn an den kurzen Haaren des Vizslas blieb so gut wie nichts anderes kleben.

Aufgeschlagene Schwanzspitze beim Vizsla
Beim Entfernen des Verbands musste Bayard viele Haare lassen.

Ich war also glücklich, als die Wunde nach ein paar Tagen verkrustete und zumindest der Verband weichen durfte. Doch dann passierte es: Nach ein paar Wochen – die Verletzung war gerade abgeheilt – schlug sich Bayard die Spitze der Rute neu auf. Diesmal an einer Kommode. Offenbar war die ohnehin verletzte Haut noch so dünn, dass die Wunde diesmal tiefer und größer war. Trotz des Reinigens und Verbindens bekam Bayard so starke Schmerzen, dass wir den tierärztlichen Notarzt aufsuchen mussten. (Murphys Gesetz: Natürlich passiert sowas immer am Wochenende!)

Die Wunde hatte sich offenbar binnen eines Tages stark entzündet, war angeschwollen und es hatte sich bereits Eiter gebildet. Wir mussten handeln: Die Wunde wurde erneut vom Tierarzt gereinigt und verbunden, diesmal gab es Antibiotika und Schmerzmittel als Spritze sowie weiteres in Tablettenform. Leider heilte die Wunde dieses Mal sehr schlecht, da sich einfach keine Kruste bilden wollte. Unsere Tierärztin war alarmiert und riet zu einer Amputation des Schwanzes auf etwa ein Drittel der Länge. Einerseits um das Fortschreiten der Entzündung, andererseits die Gefahr einer weiteren Verletzung einzudämmen.

Verbundene Schwanzspitze beim Vizsla
Die vom Tierarzt professionell verbundene Schwanzspitze mit dicker Polsterung oben an der Verletzung.

Das Wundermittel für die aufgeschlagene Schwanzspitze

Ich war schockiert. Eine Amputation? Eine Vollnarkose? All das wollte ich Bayard nicht zumuten. Zumal erwachsene Hunde, so erklärte man uns, anders als kupierte Welpen, häufig unter Gleichgewichtsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten leiden, da sie sich nur zögerlich an das neue Körpergefühl gewöhnen.

In der Hundeschule klagte ich unserem Trainer mein Leid und er, der selbst Jahrzehnte lang Pferde und Jagdhunde gezüchtet hat, gab uns einen guten Rat: Ich sollte im Reformhaus Manuka-Honig kaufen, die Wunde damit immer wieder bestreichen und an der Luft trocknen lassen. Natürlich würde Bayard für diese Prozedur erneut einen Trichter tragen müssen.

Dieser Honig verfügt durch seine besondere Zusammensetzung (Interessierte können das hier genauer nachlesen) über gute antibakterielle Eigenschaften, welche die Wundheilung beschleunigen. Auch in der Humanmedizin findet er Anwendung. Zunächst war ich skeptisch: Nicht nur, dass mich das kleine Glas knapp 50 Euro kostete, auch konnte ich mir kaum vorstellen, dass ein Naturprodukt Bayard vor einer Amputation retten könnte.

Manuka-Honig ist die Lösung

Doch unser erfahrener Trainer sollte Recht behalten. Nach nur 2 Tagen „Honigkur“ war die Wunde trocken und dick verkrustet. Endlich begann die Heilung. Das Ganze ist nun etwa 3 Monate her und man sieht Bayards Rute noch immer die Verletzung an. Dennoch ist er der Amputation damit erfolgreich entgangen.

Und ich habe sogar das Gefühl, dass die Verletzung dafür gesorgt hat, dass er selbst bei der wildesten Begrüßung etwas vorsichtiger mit seinem Schwanz ist und diesen etwas weiter unten hält als gewöhnlich. Auch ich versuche das Risiko zu minimieren, indem ich ihn meistens erst auf seinem Platz begrüße, wo er von weichen Kissen und Decken umgeben ist.

Meine persönliche Meinung zum Kupieren des Vizslas

Verändert haben diese Erfahrungen aber definitiv meine persönliche Einstellung zum Kupieren. Wo es für mich früher unvorstellbar war, Jagdhunde zu kupieren, kenne ich nun viele gute Gründe, die diesen Eingriff rechtfertigen. Das heißt nicht, dass ich dem standardmäßigen Kupieren nicht schon allein wegen der Schmerzen für die Welpen nicht weiterhin kritisch gegenüberstehe. Doch waren die mehrmaligen Verletzungen, die gefährliche Entzündung und der langwierige Heilungsprozess für Bayard so überaus schmerzhaft, dass eine Amputation für ihn hätte sinnvoll sein können. Ich bin jedoch froh, dass wir ihr entgehen konnten und ich durch diese Erfahrung eine Menge über das Kupieren dazulernen durfte.

Sehr geholfen haben mir übrigens die folgenden zwei Artikel, in denen sich ein Jäger, eine Züchterin sowie ein Jagdhundtrainer mit dem Pro und Contra des Kupierens (beim Vizsla) auseinandersetzen:

https://vizsla-siegtalblick.wixsite.com/website/post/kupieren-von-kurzhaarigen-jagdhunden-am-beispiel-des-magyar-vizslas-keine-leichte-entscheidung

https://www.fichtlmeier.de/fileadmin/user_upload/pdfs/Verschiedene/ProundKontra_Kupieren_Maerz2016.pdf

Bis dahin: Stay Vizsladdicted!

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